- Maienfelder Erklärung -

 

Wolfspolitik als naturschutzproblem

Als Naturschützer und Ökologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind wir alarmiert. Die Ausbreitung der Wölfe führt zu zunehmenden Konflikten mit vielfältigen anderen nationalen Naturschutzzielen einschließlich nationaler und internationaler Erhaltungsziele. Diese Zielkonflikte sind aber offenbar noch zu wenig erkannt oder werden gerne kleingeredet.

Die extensiv bewirtschafteten Kulturlandschaften Europas mit ihren Wiesen und Weiden beherbergen einen gewaltigen Formen- und Artenreichtum und stellen eine weltweite Besonderheit dar. Im Berggebiet und in Hanglagen ist die Artenvielfalt noch heute sehr hoch. Die Bewirtschaftung ist dort enorm arbeitsintensiv und wenig ertragreich, und ist deshalb schon aus ökonomischen Gründen gefährdet. Gleichzeitig ist hier zuverlässiger Herdenschutz gänzlich unmöglich.

Eine Nutzungsauflassung solcher Landschaften kann aus naturschutzfachlicher Sicht nicht infrage kommen. Um artenreiche, weidegeprägte Landschaften zu erhalten, braucht es rasch ein regional differenziertes, aktives Wolfsmanagement. Dies dient auch der Tierart Wolf, die auf Dauer nur akzeptiert wird, wenn die Konflikte gelöst werden.

bedrohte hotspots der artenvielfalt

Extensive Weide- und Wiesenlandschaften sind Hotspots der Artenvielfalt Europas. Von herausragender Bedeutung sind die Kulturlandschaften der Alpen mit den vielfältigen Almen und strukturreichen Hanglagen. Diese Landschaften sind das Ergebnis einer viele Jahrhunderte alten, bäuerlichen Nutzung und damit ein lebendes Kulturgut. Ohne Beweidung und Wiesenmahd würde fast überall dichter Wald dominieren und viele Tier- und Pflanzenarten könnten nicht vorkommen.

Traditionelle Kulturlandschaften sind seit langem im Rückgang begriffen. Um nicht noch mehr Flächen zu verlieren, und um bereits verloren gegangene Bereiche zurückzugewinnen, werden mit europäischen und nationalen Fördermitteln große Anstrengungen unternommen. Zusammen mit Bewirtschaftern konnte der Naturschutz namhafte Erfolge erzielen. Eine immense Arbeit von über dreißig Jahren ist nun in Gefahr.

wölfe in der kulturlandschaft

Vor rund zwanzig Jahren haben sich die ersten Rudel im deutschsprachigen Raum niedergelassen. Die Zahl der Wölfe nimmt rasant zu. Dabei lernen sie zunehmend, Herdenschutzmaßnahmen zu überwinden. Gefährdet sind gerade diejenigen Landnutzungssysteme, die für den Naturschutz am wertvollsten sind.

Auf dem Spiel stehen:

- Schutzgebiete und in Jahrhunderten gewachsene Landschaftsbilder

 - einmalige und äußerst vielfältige Wiesen- und Weidesysteme

- Vorkommen seltener und bedrohter Tier- und Pflanzenarten

Wölfe gelten gemäß der Weltnaturschutzorganisation IUCN in Europa bereits seit 2007 nicht mehr als gefährdet, sind aber nach der Berner Konvention noch immer streng geschützt. Im extensiv genutzten Offenland leben Pflanzen- und Tierarten, die den gleich hohen Schutzstatus wie der Wolf besitzen, aber im Gegensatz zum Wolf im Rückgang begriffen und gefährdet sind. Deren Lebensräume lassen sich mit dauernder Wolfspräsenz aber nicht erhalten.

die grenzen des herdenschutzes

In der Kulturgeschichte Mitteleuropas gibt es keine Tradition von passiven Herdenschutzmaßnahmen. Im Gegenteil, Raubtiere und vor allem Wölfe wurden zu allen Zeiten scharf verfolgt. Oft waren Kinder und Alte als Hirten im Einsatz. Sie hatten die Aufgabe, das Weidevieh am richtigen Ort zu halten. Die ständige Wolfsabwehr gehörte nicht zu deren Aufgaben. Die vielbeschworene «friedliche Ko-Existenz» von Wolf und Weidevieh hat es nie gegeben. Der vielzitierte Spruch, «man müsse erst wieder lernen, mit den Wölfen zu leben» ist deshalb unsinnig und irreführend.

Heute werden wolfssichere Zäune als Patentrezept empfohlen, um die Weidewirtschaft trotz der Anwesenheit von Wölfen aufrechterhalten zu können. Es müssten sämtliche Haus- und Nutztiere, stets und überall, geschützt werden; nicht nur Schafe und Ziegen, sondern auch Pferde und Rinder. Zäune sind aber ohne gleichzeitige Bejagung auch unter günstigen Bedingungen nie hinreichend wolfssicher. Im Gebirge sind sie technisch ohnehin nur in Ausnahmefällen umsetzbar. Abgesehen davon müssten ganze Landschaften mit elektrischen Wolfszäunen zugestellt werden. Durch Strangulieren und Stromschläge verendete Wildtiere und versperrte Wanderwege wären unausweichliche Begleiterscheinungen.

Selbst wenn Herdenschutzzäune allein funktionieren würden, so wären sie einfach viel zu teuer. Aufgrund von Erfahrungen und Hochrechnungen würden die Erstinvestitionen für einen kompletten Herdenschutz in Deutschland, Österreich und Schweiz mehrere hundert Millionen Euro verschlingen und damit die Naturschutzetats dieser Länder übersteigen; die jährlichen Folgekosten für den Unterhalt nicht eingerechnet.

Jede noch so kleine Viehherde müsste von einer ganzen Meute von Herdenschutzhunden bewacht werden. So etwas hat es in Mitteleuropa noch nie zuvor gegeben. In den von Herdenschutzhunden bewachten Flächen wären sämtliche Wildtiere einschließlich bodenbrütender Vögel bedroht. In touristisch genutzten Gebieten ist der Einsatz kampfbereiter Schutzhunde ein großes Sicherheitsrisiko.

wolfspopulation

Die mitteleuropäischen Wolfsbestände sind untereinander verbunden und Teil einer eurasischen Großpopulation, die sich bis nach Russland erstreckt. Wölfe sind äußerst anpassungsfähig und besitzen eine hohe Ausbreitungspotenz, an den Lebensraum stellen sie keine spezifischen Ansprüche. Sie können sich praktisch überall niederlassen, wo genug Nahrung vorhanden ist. Eine flächendeckende Besiedlung ist aus Gründen der Arterhaltung nicht vonnöten. Fraglos sind die Kriterien für den sogenannten günstigen Erhaltungszustand auf Populationsebene erfüllt, und die Wolfspopulation ist langfristig überlebensfähig.

 

räumlich differenziertes wolfsmanagement

Europa braucht schnellstens ein räumlich differenziertes Wolfsmanagement, welches an das jeweilige gesamtökologische und gesellschaftliche Umfeld angepasst ist. Grundlage hierfür soll eine fachlich fundierte, transparent hergeleitete wildökologische Raumplanung sein.

1. Weideschutzgebiete

Wo aus technischen Gründen kein Herdenschutz durchgeführt werden kann und wo wichtige naturschutzfachliche Argumente gegen die Anwesenheit von Wölfen sprechen, werden Wölfe nicht toleriert. Eine Pufferzone hält wandernde Wölfe fern.

2. Aktives Wolfsmanagement

Außerhalb der Weideschutzgebiete ist ein permanentes Wolfsmanagement vonnöten:

  • Bestandsregulation

Der Wolfsbestand wird so gelenkt, dass er langfristig überlebensfähig, aber auch naturschutz- und sozialverträglich ist. Bestandesgrößen, regionale Dichten und Rudelgrößen werden so geregelt, dass ein Genaustausch innerhalb der eurasischen Population gewährleistet ist.

  • Rote Linie

Opportunes Verhalten wird definiert, auf Abweichungen wird postwendend durch Entnahme reagiert. Wölfe sollen möglichst menschenscheu sein, keine Herdenschutzzäune überspringen, sowie Siedlungen, Herdenschutzhunde und Großvieh meiden.

  • Förderung von Herdenschutzmaßnahmen

Wenn Herdenschutzmaßnahmen zur Voraussetzung für Entnahmen gemacht werden, sind sämtliche Kosten, Material und Arbeit inkl. Unterhalt und Erneuerung vom Staat zu decken.

deklaration

Die unterzeichnenden Personen mit Expertise in Naturschutz, Ökologie und Landeskultur wenden sich an die Öffentlichkeit und an die Entscheidungsträger in Politik und Verwaltungen ihrer Länder und Europas:

Mit einer Fortsetzung der bisherigen Wolfspolitik, die auf einem überholten Sachstand und einer fehlenden Gesamtbetrachtung basiert, ist Europa dabei, seine weltweit einzigartigen, in Jahrhunderten gewachsenen Grünlandkulturlandschaften zugrunde zu richten.

Das europäische Schutzgebietssystem wird großen Schaden nehmen, wenn Weidetraditionen und andere extensive Bewirtschaftungsformen wie die Bergwiesenmahd verloren gehen.

Ohne eine Anpassung der Wolfspolitik ist die zunehmende Gefährdung streng geschützter Arten unausweichlich, und Europa macht sich schuldig an einer großflächigen Verschlechterung von bedrohten Lebensräumen.

Aus gesamtheitlicher Betrachtung und gerade aus naturschutzfachlicher Sicht halten wir eine umgehende Absenkung des Schutzstatus´ für den Wolf in der Berner Konvention und in der FFH-Richtlinie für dringend geboten.

MAIENFELD

Diese Erklärung wird am 26. März 2024 in Maienfeld (Schweiz) der Öffentlichkeit vorgestellt. Maienfeld weist eine außerordentlich hohe Artenvielfalt auf, die nur dank der landwirtschaftlichen Nutzung und Beweidung besteht. U.a. finden sich hier ausgedehnte Wytweiden mit 400-jährigen Eichen, zahlreiche extensiv genutzte Mähwiesen und Weiden, sowie etliche gut gepflegte, artenreiche Alpweiden. Ohne Landwirtschaft und Beweidung könnte dieser Hotspot der Biodiversität nicht fortbestehen.